SEX, REPORTER UND DAS
INTERNET
Eine kurze Anleitung für
Reporter und Journalisten
Version 2.1 (Mai 1995)
Der WDR tut es, ZAK tut es, c't hat es getan, und EMMA tut es immer
wieder:
Berichte über Sex im Internet herausbringen. Warum sie das tun, ist
klar. Es
ist eines der heißesten Themen der deutschen Presse, Menschen regen
sich
auf, Emotionen schlagen hoch - oder lassen sich zumindest damit
hochschlagen.
Kurz gesagt: Berichte über Sex, mitteln auf der Datenautobahn der
schönen neuen Computerwelt, sind in.
Dieser Text soll eine Hilfestellung bieten, wie auch Sie sich
in die
erfolgreichen Reihen von Journalisten und Reportern eingliedern können,
die mit dem Thema Sex im Internet einen so großen Erfolg hatten.
Schließlich wollen Sie nicht das Rad von vorne erfinden, und außerdem
haben sich unter Kollegen inzwischen gewisse Konventionen gebildet, die
auch Sie einhalten sollten.
Sie werden staunen, wie einfach es ist.
Was so schön an dem Thema ist
Für einen echten Reporter ist dieses Thema einfach zu verlockend, um
nicht
aufgegriffen zu werden: Man muß keinen großen Aufwand für Recherchen
treiben (falls man es überhaupt für nötig hält, welche zu machen), es
umfaßt drei Reizthemen auf einmal: Hochtechnologie, Steuerverschwendung
und natürlich Sex. Und die Messsage ist so einfach, daß selbst der
blödeste Ruhrpottler sie verstehen kann.
Fangen wir mit dem letzten Teil an:
Die Message
Alle erfolgreichen Berichte über das Internet basieren auf
der folgenden Feststellung:
Das Internet ist eine neue Hochtechnologie,
dessen Ziel es ist, auf Kosten der Steuerzahler jedem
Hochschulangehörigen auf elektronischem Weg Pornographie zugänglich zu
machen.
Machen Sie sich über die Details keine Sorgen. Wie wir
unten sehen werden, werden Sie diese Message für Ihre jeweilige
Zielgruppe etwas anpassen müssen. Aber da Ihr durchschnittler Zuschauer
zB. den Unterschied zwischen dem Internet und dem FidoNet nicht
erkennen würde, auch wenn er darauf säße, brauchen Sie weder sorgfältig
zu arbeiten, noch sich alle Feinheiten merken. Verallgemeinern Sie
also, um bei unserem Beispiel zu bleiben, im Zweifelsfall einfach über alle Computernetze. Die Message ändert sich nicht, und schließlich
geht es - nach den Quoten - beim Journalismus immer um die Message.
Wenn die durchkommt, egal wie, sind Sie ein guter Reporter.
Sex
Schon auf der der Uni haben Sie gelernt, daß Sex sich gut
verkauft. Sie haben auch gelernt, daß ein anspruchsvoller Journalist
nicht mit dem Sex an sich die Zuschauer ködert, sondern mit einem
Bericht über Leute, die diesen Sex konsumieren. Damit haben Sie die
Entschuldigung, Bilder von nackten Frauen zu zeigen (natürlich nur zur
Dokumentation), und behalten trotzdem Ihre moralische Überlegenheit.
Auch das wissen Sie als guter Journalist.
Das Internet eignet sich, wie alle Computernetze,
hervorragend zu diesem Zweck. Schließlich hat der Zuschauer keine
Ahnung, wie ein Pornobild auf einem Computerschirm aussieht. Sie haben
also die journalistische Pflicht, es ihm zu zeigen. Möglichst mehrfach,
damit er sich ein abgrundetes Bild machen kann. Die Moralapostel werden
entsetzt sein, wie frei das alles zugänglich ist, die visuell
veranlagten werden sich überlegen, warum sie nicht damals doch
Informatik studiert haben, und der ganz normale Zuschauer wird einfach
nur auf die Bilder gucken. Sex verkauft sich immer, Sex ist immer noch
der Quotenbringer Nummero Uno.
Machen Sie Sex zu Ihrem Hauptthema. Um es für Sie
einfacher zu machen, haben die Internet-Leute netterweise alle
wichtigen Gruppen unter alt.sex.* eingeordnet, also am Anfang an dieser
langen Liste von Newsgruppen. Auch wenn es einige anderen Gruppen gibt,
viele sogar, sollten Sie der Versuchung widerstehen, zu viel Zeit mit
ihnen zu verschwenden. Erstens sind die alle sowieso auf Englisch - und
wir wissen ja alle, daß das mit Ihrem Schul-Englisch nicht so ist, wie
es eigentlich sein sollte, nicht wahr - und zweitens wird da eh nur
technischer Krimskrams besprochen. Also: konzentieren Sie sich auf das
Wesentliche, auf das, was die Quoten bringt, und ignorieren Sie den
Rest. Konzentrieren Sie sich auf den Sex.
Hochtechnologie
Spätestens seit der
Diskussion über die andere Hochtechnologie, der Gen-"Manipulation",
weiß jeder Journalist, wie der Hase läuft: die Volksmeinung ist radikal
technikfeindlich, und wer die Quote kriegen will, tut gut daran, dieser
Einstellung brav zu folgen. Sie kennen doch sicherlich den Witz:
Ein Amerikaner, ein Japaner und ein Deutscher bekommen eine neue
Technologie erklärt. Der Amerikaner sagt: "Wow, damit können wir die
Kommies besser in Schach halten. Kann man das nicht auch für Kinofilme
verwenden?" Der Japaner sagt. "Interessant, damit können wir viel Geld
machen. Aber geht das Gehäuse wirklich nicht kleiner?" Der Deutsche
sagt: "Oh mein Gott, es wird uns alle umbringen. Warum ist das noch
nicht verboten worden?"
Als Journalist folgen sie also einfach weiter dem ersten
Journalistischen Technologie-Axiom für deutsche Zuschauer - jede neue
Technologie ist böse - und es kann eigentlich gar nichts schiefgehen.
Zur Untermauerung dieser These sollten Sie noch andere
selbsternannte Experten hinzuziehen. Die richtigen Pädagogen ("Nur
Holzspielzeug kann vermeiden, daß ihr Kind zu einem Massenmörder
wird"), Psychologen ("Der dauernde Kontakt mit einer Maschine führt zu
einer inneren Vereinsammung. Daher ist die heute Kontaktarmut eine
dirkete Folge der Erfindung des Telefons"), und Ästhetiker - was das
auch immer ist - geben dem ganzen Bericht noch eine zusätzliche
Dimension. Bemerken Sie, daß Sie selbst eigentlich nicht verstehen
müssen, um was es da technisch eigentlich geht, denn Ihr Zuschauern
weiß es ja auch nicht. Und falls doch, ist er auch ein Internetler, und
sowieso weder objektiv noch als Zielgruppe für Sie interessant.
Steuerverschwendung
Nicht erst seit dem Solidaritätsbeitrag hat der Bürger ein
gutes Gespür dafür, was mit seinem Geld passiert. Werden Milliarden aus
dem Fenster geworfen, gibt es mächtig Ärger. Und diese selbsternannten
Uni- Intellektuellen in ihren Elfenbeintürmen sind sowieso verdächtig:
jeder weiß, daß alle Stundenten faul sind, und die Professoren arbeiten
auch nur dann, wenn es ihnen paßt. Und das Internet existiert ja nur an
den Unis, oder? Na also.
Auf dem ersten Blick scheint es schwierig zu sein zu
erklären, wie genau die Steuern verschwendet werden. Schließlich weiß
Ihr Publikum etwa soviel über Computer wie Sie. Aber das muß es auch
nicht: Erwähnen Sie nur, daß die Computer über Leitungen (vereinfachen
Sie und sagen Sie einfach "Telephonleitungen", wer wird das schon
merken) miteinander verbunden sind, und daß der ganze Schweinkram
darüber verschickt wird. Dank der Preispolitik der Telekom wird jeder
Zuschauer sofort wissen, daß hier Millionen, wenn nicht sogar
Milliarden verschwendet werden. Der Umzug nach Berlin ist im Vergleich
dazu bestimmt nur Peanuts. Und Peng!, schon haben Sie Millionen von
empörten Zuschauern. Empörte Zuschauer schreiben empörte Briefe, die
Sie dann Ihrem Chef zeigen können. Und das ist das Beste, was Ihrer
Karriere passieren kann.
Eigentlich müssen Sie nur bei dem Bericht über die Kosten
ein bestimmtes Wort vermeiden: "Standleitung". Dazu unten mehr. Sonst
können Sie auch hier nicht verlieren.
Aber was wirklich schön an dem Thema ist: Ihre Kollegen haben schon so
viel
Vorarbeit geleistet, daß der Zuschauer schon eine Erwartungshaltung
hat. Wenn ein Deutscher das Wort Internet hört, weiß er, worum es gehen
wird: Gefährliche Technik, Steuerverschwendung, und Sex. Und wenn er
sonst nichts anderes behalten hat, wird der Zuschauer immer wissen, daß
es um Sex geht. Denn bisher hat kein einziger populärer Artikel über
Computernetze das Thema
Sex ausgelassen. Inzwischen erwartet Ihr Zuschauer oder Leser also, daß
es in
einem Artikel über Computernetze früher oder später über Sex gehen
wird. Alles, was Sie tun müssen, ist diese Erwartung erneut zu
befriedigen.
Haben wir nicht gesagt, daß es einfach sein würde?
Wie Sie Artikel schreiben, geordnet nach Zielgruppen
Journalisten sind wie Angler, sie wählen den Köder nach dem Fisch.
Obwohl
Sie mit der Message und den drei Themen alleine schon problemlos Ihrem
Verlag oder Sender eine Freude machen können, können Sie Ihrem Artikel
den letzten Schliff geben, wenn Sie etwas auf die Zielgruppe achten.
Hier einige unserer
Tips:
- Wenn Sie für ein rechtes Publikum schreiben: Ihre
Leser werden sowieso nichts gutes vom Internet halten - schaut euch
doch das Studentenpack vor den Uni-Terminals an, diese langhaarigen,
schmalbrüstigen Cyberhippies. Jeder Rechte weiß, daß Unis sowieso nur
Steuerverschwendung sind, Sie brauchen also nicht zu lange auf diesem
Teil herumzureiten. Aber dafür können Sie mit dem normalen Sexthema
nicht so viel reissen. Ein echter Rechter hat nichts gegen einen guten
Fick, solange die Frau vorher das Haus sauber gemacht hat und sie dabei
das Essen nicht anbrennen läßt. Hier sollten Sie vielleicht ein paar
wertvolle Minuten mit der Sprache der Netzler verschwenden, um so
herauszufinden, was sich für Kreaturen in der alt.sex.motss
herumtreiben. In diesem Fall lautet die Message nämlich besser:
- Das Internet ist eine neue Hochtechnologie,
dessen Ziel es ist, auf Kosten der anständigen Steuerzahler unseres
schönen Landes jedem schwulen Hochschulsozi auf elektronischem Weg den
Kontakt zu anderen perversen Verfassungsfeinden zu ermöglichen.
Wenn Ihren Lesern erstmal klar wird, daß das Internet für Sowas wie
Schwule und Lesben weit offen ist, und daß die da auch frei reden
dürfen, ist der Artikel ein garantierter Erfolg.
Wenn Sie für ein linkes Publikum schreiben: Auch
hier haben Sie schon einen Bonus: Ein echter Linker mag das Internet
nicht, weil es von Amerikanern erfunden wurde. Und die Amis sind
bekanntlich an allem Schuld, von dem Untergang des wahren Sozialismus
in Nicaragua bis zu der Tatsache, daß die roten Gummibären einfach
nicht mehr so gut schmecken wie früher. Das Internet ist für ihn nichts
anderes als ein Brückenkopf des fortgesetzten Kulturimperialismus der
kontrarevolutionären Kräfte. Da sich jeder Linke für einen
Intellektuellen hält, sollten Sie sich besonders gut die Empfehlungen
zu Intellektuellen durchlesen - auch wenn die meisten Linken auch nur
der bundesweiten Tendenz zum Zweitbuch hinterherlaufen.
Wenn Sie für radikale Feministinnen schreiben: Zuerst
müssen Sie sich vergewissern, daß Sie es wirklich mit Frauenrechtlern
und nicht mit Radikalfeministinnen zu tun haben. Frauenrechter sind
entsetzt, wenn man sie wie Radikalfeministinnen behandelt, und
Radikalfeministinnen sind enttäuscht, wenn man sie nur für
Frauenrechtler hält. Entsprechend müssen Sie Ihren Artikel ganz anders
aufbauen. Zur Unterscheidung sollten Sie die Kernsätze der beiden
Gruppen beachten:
- Frauenrechtlerin: "Die Frau wird in und von der
Gesellschaft ungerecht behandelt. Das muß durch bessere Gesetze und
fairere soziale Konventionen geändert werden."
Radikalfeministin: "Männer sind böse."
Frauenrechtler setzen sich für die Beseitigung eines
Mißstandes ein. Wie alle solche Menschen entwickeln sie dabei eine
erschreckende Kreativität in der Verwendung von neuen Technologien, und
sind bereit, sich dafür selbsttätig zu informieren. Wie wir später noch
genauer sehen werden, sind sie deshalb für Journalisten ähnlich
gefährlich wie saarländischen Pressegesetze. Frauenrechtler haben im
Zusammenhang mit dem Internet von der Möglichkeit gesprochen,
hausgebunden Frauen von Zuhause aus die Eingliederung ins Berufsleben
zu ermöglichen. Unterhaltsam wie dieser SciFi Quatsch sein mag, lenkt
es von der erprobten Message ab und geht über die drei Reizthemen
hinaus. Damit können Sie keine Quote machen.
Vermeiden Sie es daher ganz, für Frauenrechtler Berichte über
das Internet zu schreiben. Wenn Sie darauf angesprochen werden, murmeln
Sie viel und erzählen Sie etwas von Ihrer baldigen Reise nach Katmandu.
Wenn Sie sich sicher sind, daß Sie für Radikalfeministinnen
schreiben: Das ist Ihre ideale Zielgruppe. Ehrlich. Sie
brauchen hier nicht über Steuerverschwendungen zu erzählen: Steuern
werden von Männern verteilt, und wandern schon deswegen immer in die
falschen Kanäle. Auch das mit der Hochtechnologie wird Ihnen geschenkt:
Führende Radikalfeministinnen haben schon die Gentechnologie zum
Werkzeug der Männer deklariert, mit denen sie die Frauen machtlos
machen - sorry, halten - wollen. Warum sollte das mit einer anderen
Hochtechnologie anders sein?
Konzentrieren Sie sich auf Sex, und erwähnen Sie immer und so oft es
geht, daß im Internet mehr Männer sind als Frauen. Schon allein
deswegen ist jedes Problem, daß durch das Internet entstanden ist,
besteht, entstehen wird, oder entstehen könnte, offensichtlich auf die
Männer zurückzuführen. Ihre Message sieht also so aus:
Das Internet ist
eine auf Männer zugeschnittene Hochtechnologie, dessen Ziel es ist, auf
Kosten der Frauen jedem Mitglied Ihres emotional verkrüppelten
Geschlechtes auf elektronischem Weg Schweinebilder zugänglich zu machen.
Dazu kommt noch eine Erweiterung:
Frauen sollen so
aus allen wichtigen Stellen vertrieben und die Anzahl der
Vergewaltigungen gesteigert werden.
Bemerken Sie, daß wegen der unter Radikalfeministinnen
üblichen Dogmata einige Aussagen immer implizit in Ihrem Bericht
enthalten sein werden, auch wenn Sie es selbst vielleicht gar nicht
gewußt haben. So zum Beispiel:
Das Ziel allen männlichen Tuns und Schaffens ist die
Unterdrückung der Frau. Jede neue Technologie oder deren Anwendung
durch Männer kann also, auch wenn der genau Mechanismus auf dem ersten
Blick nicht sichtbar sein sollte, nur diesem einen Zweck dienen.
Pornographie ist die Ursache für Vergewaltigungen
("Pornography is the theory, rape is the practice"). Wenn Männer nackte
Frauen sehen, werden sie automatisch zu Vergewaltigern.
Frauen können sich nur frei in einer Gruppe entfalten, wenn
sie keine Männer enthält. Reine Frauengruppen sind der einzige Weg zur
weiblichen Selbstverwirklichung.
Zwar müssen Sie diese Dogmata wie gesagt nicht erwähnen, aber wenn Sie
wissen, wie Ihre Leserinnen denken, können Sie natürlich einen viel
besseren Artikel schreiben.
Weiter: Zeigen Sie möglichst viele Bilder. Eine der Kamera-Einstellungen,
die inzwischen Pflicht sind, ist die eines Bildschirms mit einer Liste
der alt.sex.* Gruppen. Suchen Sie sich eine, besser, mehrere Frauen als
Interviewpartner. Und auch einen männlichen Bösewicht brauchen Sie
mindestens, als lebendiges Beispiel für die Tiefen zu denen sich das
primitivere Geschlecht herablassen kann. Und man kann es nicht oft
genug sagen: betonen Sie immer wieder, daß das Netz so gut wie rein
männlich ist. Spachteln Sie das so dick auf, wie Sie nur können.
Dummerweise sinkt der Männeranteil im Internet stetig, was Ihnen als
Reporter auf lange Sicht die Tour vermiesen könnte. Es haben sich zwei
grundsätzliche Methoden herausgebildet, um diesem Trend
entgegenzusteuern:
"Der schweigende Kirchturm". Da sich inzwischen besonders
die angelsächsischen Frauen in Maßen in das Netz ergießen, sollten Sie
bei Diskussionen über den Frauenanteil immer lokal bleiben. Erwähnen
Sie daher nicht, wie das Internet im Ausland aussieht, halten Sie Ihren
Horizont schön eng. Wenn Frauen erstmal auf die Idee kommen, daß sie
nicht alleine im Netz sind, baut sich viel zu schnell die Hemmschwelle
ab. Erwähnen Sie zwar, daß das Internet international ist, aber
belassen Sie es dann dabei. Warum in die Ferne schweifen, wenn das
journalistische Glück so nahe liegt?
"Die Macht der sich selbsterfüllenden Prophezeihung". Im
Gegenzug heißt das: wenn Sie immer und immer wieder den Frauen
erzählen, daß es keine Frauen im Internet gibt, und daß Frauen dort nur
angefeindet werden, werden Frauen weder Lust haben, ins Internet zu
kommen, noch neugierig sein, was dort passiert. Damit bleibt der
Frauenanteil schön niedrig, und Sie haben noch auf Jahre hin gutes
Material für weitere Reportagen.
Trotz der Vielzahl von Details, die man bei einem Bericht für radikale
Feministinnen beachten muß, gibt es keine Gruppe, die Berichte über Sex
im Internet mit mehr Begeisterung und weniger kritischem Nachdenken
aufnimmt. Sie müßten sich schon ziemlich anstrengen, um einen Artikel
für diese Zielgruppe zu vermasseln.
- Wenn sie für die Kirche schreiben: Hier
ist erstaunlich viel Fingerspitzengefühl nötig, denn Kirchenmitglieder
sind zwar meist über Sex entsetzt, aber zuviel Sex in einem Bericht
stößt sie eher ab. Also: reden Sie davon, aber keine expliziten Bilder,
und nur dezente Texte. Die meisten Radikalchristen werden eher Bedenken
gegen den ungefilterten Kontakt der Internetbenutzer mit den
Mitgliedern anderer Religionen (wie in der talk.religion.buddhism)
haben, wie auch gegen die Möglichkeit der New Ager, sich hier breit zu
machen. Verglichen damit fallen Faktoren wie die Verschwendung von
Steuermitteln und die Gefahren der Hochtechnologie nicht wirklich ins
Gewicht. Die Kirche hat, wie Ihnen jedes Land mit Überbevölkerung gerne
bestätigen wird, eben ihre eigenen Prioritäten.
- Hier läßt sich die normale Message nicht übertragen. Weil
man als Reporter hier selbsttätig arbeiten müßte, gibt es auch kaum
Texte zum Thema Internet und Kirche.
Wenn Sie für Intellektuelle (oder Linke) schreiben: Auch
Intellektuelle muß man gesondert behandeln. Sie können bei dieser
Gruppe nicht über die Unis herziehen, da die meisten von ihnen entweder
an einer Universität sind oder von einer kommen. Und auch mit der
Steuerverschwendung müssen Sie etwas aufpassen. Zu leicht kann es
passieren, daß jemand von diesem Pazifistenpack aufsteht und Sie darauf
aufmerksam macht, daß das ganze Geld für das deutsche Internet nicht
die kleinste Schraube am Höhenruder eines EuroFighters bezahlen würde.
Intellektuelle sind entweder Besserwisser oder Klugscheißer, und
meistens beides.
Und diese Gruppe ist auch die einzige, die Sie nicht mit
Sex schocken können, egal in welcher Form. Zum intellektuellen
Selbstverständnis gehört es, alle Spielarten als "interessant", und
jedes Bild eines nackten Menschen als höchstens "erotisch", nie aber
als pornographisch einzustufen. Was nützt ihnen das Bild einer nackten
nimm-mich Frau, wenn ein Typ aus dem Fachbereich Kunst das einfach als
eine gelungene neo-dadaistische Interpretation von Gustave Moreau's
"Galatea" intellektualisiert und die transformatorische Übertragung in
den Bereich der postmodernen Sozialkritik lobt? Und selbst wenn sie
einen von diesen Leuten dazu bringen können, etwas als Pornographie
einzustufen, gibt es diese entsetzliche intellektuelle Tradition der
Meinungsfreiheit. Sex können Sie also auch vergessen.
Ihnen bleibt nur die Hochtechnologie. Zum Glück
funktioniert das blendend.
Intellektuelle sind die Leute, die über Jahrhunderte
hinweg tapfer versucht haben, jede Entstehung oder Ausbreitung von
neuen Medien zu verhindern. Schon die Kirchengelehrten haben ihr bestes
getan, um Bücher und Buchdruck in "verantwortungsvollen" Händen zu
halten, und ein gewisser Rousseau war der felsenfesten Meinung, daß man
dem gemeinen Pöbel nicht Lesen oder Schreiben beibringen sollten, weil
es die "natürliche Kultur" zerstören würde. Wenn man die heutigen
Intellektuellen reden hört, wird einem schnell klar, daß sie noch nicht
einmal mit dem Schock des Fernsehens zurecht gekommen sind, geschweige
denn sich mit Computern angefreundet haben. Wenn es nach ihnen ginge,
würden alle nach der Arbeit nach Hause gehen und artig Gedichte lesen
oder mit der ganzen Familie über die Besetzung des Schweizers in der
neusten Inszenierung von "Die Räuber" diskutieren. Und wie die
Nacktszene die immerwährende Verletzbarkeit des menschlichen Geistes
aufzeigt.
Das können Sie ausnutzen.
Reden Sie davon, daß Computernetze mit Elektronik zu tun
haben. Erste Faustregel: Nichts, was Strom verbraucht, kann etwas mit
Kultur zu tun haben. Also weder Fernsehen noch Telefon noch Radio, und
schon gar keine Computerspiele. Nicht mal Myst.
Reden Sie davon, daß potentiell jeder Bürger eines Tages
Zugang zum Internet haben könnte. Zweite Faustregel: wenn mehr als
zwanzig Leute in der ganzen Republik etwas machen, kann es keine Kultur
sein. Kultur ist nur von und für Eliten, und wird auch nur von ihnen
wirklich verstanden.
Reden Sie davon, daß die Computernetze von Amerikanern
aufgebaut wurden. Dritte Faustregel: Amerikaner haben keine Kultur, und
daher kann nichts Amerikanisches irgendeine kulturelle Bedeutung haben.
Das weiß aber sowieso jeder.
Reden Sie davon, daß in Computernetzen auch lustige und
spaßige Dinge passieren. Vierte Faustregel: Intellektuelle hassen Spaß,
weil es zeigt, daß man sich nicht der ernsten Probleme unsere Welt
hinreichend bewußt ist. Deswegen sehen Dichter und Denker immer so aus,
als hätten sie schlimme Hämorrhoiden.
Zusammengefaßt haben wir also:- Das Internet ist eine neue überflüssige
Hochtechnologie, dessen Ziel es ist, auf Kosten des menschlichen
Geistes beim einfachen Bürger auf elektronischem Weg durch niveaulose
Unterhaltung den kulturellen Untergang der westlichen Welt zu
beschleunigen.
Eine besondere Herausforderung bei Intellektuellen ist,
daß diese Jungs und Mädels meist leider ziemlich gut Englisch können.
Sie müssen also bei den Kamera-Einstellungen aufpassen, sonst fragt sich
einer von den Besserwissern, ob alt.sexual.abuse.recovery vielleicht
etwas mit der Behandlung und Betreuung von Vergewaltigungsopfern zu tun
habe?
Warnungen
Bei jedem Bericht gibt es einige Fallgruben, die Sie unbedingt
vermeiden sollten:
Erklären Sie niemals, was eine Standleitung ist. Wenn es
Ihren Zuschauern erstmal klar wird, daß die über die Leitungen
übertragene Datenmenge keinerlei Auswirkungen auf die Kosten hat,
können Sie Ihr schönes Argument mit der Steuerverschwendung getrost in
den Eimer werfen. Eine Argumentation mit "Plattenplatz" oder "CPU-Zeit"
ist nämlich nicht nur für Ihre Zuschauer nicht nachvollziehbar, sondern
auch anfechtbar. Um nicht zu sagen, kaum haltbar.
Erwähnen Sie niemals, daß es neben den Universitäten auch
eine exponentiell wachsende Anzahl von privaten Anbietern gibt, die für
ihr Zeugs selbst bezahlen. Was "exponentiell" bedeutet, weiß Ihr
durchschnittliche Zuschauer eh nicht. Und wenn sich ein Haufen
Privatpersonen auf eigene Rechnung Schweinkram zuschicken, nun, wen
juckt's. Das ist vielleicht moralisch fragwürdig, aber für jemand, der
schon mal an einem Bahnhoffskiosk gestanden hat, nicht sonderlich
schockierend.
Erwecken Sie niemals Neugierde. Als Reporter leben Sie
davon, daß andere Menschen Ihre Informationen nur durch Sie beziehen -
wenn Ihre Zuschauer oder Leser erstmal neugierig werden, und sich auf
eigene Faust informieren, sind Sie Ihr Monopol los. Und damit früher
oder später auch Ihren Job. Sie sollten die Emotionen Ihrer Zuschauer
oder Leser genau steuern können - und in diesem Fall ist Schock,
Ablehnung, Entsetzen und Empörung am besten. Neugierde darf der Leser
nur in soweit haben, daß er Ihren Artikel lesen will, nicht, daß er
sich weitergehend für den Inhalt interessiert.
Seien Sie immer vorsichtig, welche Newgruppen Sie zeigen.
Das Problem mit alt.sex.abuse.recovery und den Intellektuellen haben
wir schon angeschnitten. Die Qualität der Gedichte in der rec.arts.poems
hat auch schon ein Niveau erreicht, daß genau diese Gruppe neugieriger
machen könnte, als für den Bericht gut ist. Frauenrechtler sollten nie
erfahren, daß es neben der soc.women eine ganze Reihe von Gruppen von
und für Frauen gibt. Arbeiten Sie sorgfältig.
Erwähnen Sie niemals, daß es keine Werbung gibt. Nachdem
dank Trikotwerbung und Bandenbildern sogar jedes Fußballspiel zu einer
Dauerwerbesendung geworden ist, reicht die Erwähnung, daß es in dieser
Welt noch werbefreie Zonen gibt, für eine Massenflucht ins Netz aus.
Wenn Sie für ARD oder ZDF arbeiten, ist das Thema Werbung für Sie ganz
besonders gefährlich - hier haben Sie nämlich ein Gebilde, daß
Werbefreiheit predigt, und dann auch hält, was es verspricht. Und das
können Sie ja leider nicht.
Erwähnen Sie niemals, daß prominente Leute das Netz
befürworten. Kein Mensch weiß, wer Nicholas N. Nabelhaus ist und warum
er Computernetze unterstützt, aber wenn die Kiddies herauskriegen, daß
Winona Ryder and Sandra Bullock da sind, und daß man über's Netz Harley
Davison und MTV erreichen kann, ist das etwa so, als würde die Königin
von England das ganze Gebilde in den Adelsstand erheben.
Was nicht wichtig ist
Auslassen sollten Sie:
Die Technologie. Niemand interessiert sich für die
Technologie. Ihre Leser wollen nichts über Technologie wissen, sonst
würden sie Spektrum der Wissenschaft oder sowas lesen und nicht Ihren
Artikel. Sie sollten sich auch nicht für die Technologie interessieren,
weil Sie sonst ernsthafte Recherchen anstellen müßten - und das kostet
Zeit. Außerdem: sind Sie jetzt Reporter oder Elektroingenieur?
Studien. Wenn Sie anfangen zu erzählen, daß nach
amerikanischen Studien Jugendliche, die am Internet angeschlossen sind,
viel weniger fernsehen als ihre Altersgenossen, und nicht nur täglich
hunderte von Zeilen lesen, sondern auch von sich aus schreiben, machen
Sie Ihre Leser nur neugierig, und lenken von Ihrer garantiert
quotenwirksamen Message ab. Und was ist schließlich der Zweck Ihrer
journalistischen Arbeit?
Potentiell sinnvolle Anwendungen. Wenn Sie zB. hören, daß
das White House am Internet angeschlossen ist, und jeder dort nicht nur
die üblichen Reden abrufen kann, sondern auch Parteiprogramme und
Regierungserklärungen, werden Sie vielleicht versucht sein, über etwas
in der Art für Ihr eigenes Land nachzudenken. Lassen Sie es lieber.
Computer und ähnlicher Schnickschnack haben in einem ernsthaften
politischen System keinen Platz. Und wenn der amerikanische Präsident
über E-Mail mit seinen Mitarbeitern konferiert und alle da mit Laptops
durch die Gegend läufen, nun, das ist halt Amerika, wo Präsidenten
Schauspieler sind und sich beim Joggen photographieren lassen. Oder
sollen wir etwa auch anfangen, Kanzler Kohl in einer kurzen Sporthose
und T-Shirt zu zeigen?
Zu Ihrer Sicherheit
Als Reporter sind Sie gewöhnt in einem System zu arbeiten, wo einer
(also Sie) redet, und alle anderen (die Leser oder Zuschauer) nur
passiv aufnehmen. Im
Internet ist das anders. Wenn Sie den katastrophalen Fehler machen,
selbst
eine Internetadresse zu haben, und die dann auch noch bekannt zu geben,
werden
sich auf einmal mehr Leute per Mail melden, als Sie jemals hören
wollten. Das
Internet erlaubt hemmungslosen Feedback an den Autor.
Das sollten Sie direkt unterbinden: geben Sie niemals Ihre
Emailadresse mit
dem Artikel bekannt. Sie werden nicht für Feedback bezahlt, sondern für
neue Berichte. Als Vorbild sollte Ihnen der Autor von "Nur aus
technischem
Interesse" aus c't 11/1991, Martin Fischer, dienen. Fischer schreib
damals einen Bericht über Pornographie in Computernetzen, der Schule
machte, mit
Bildern von nackten Frauen und allem, was dazugehört - und dachte gar
nicht
daran, seine Emailadresse anzugeben. Als bei c't nachgefragt wurde,
warum das
so sei, antwortete die Zeitschrift (Heft 12/1991), daß sie Email nicht
für
so geeignet hielten wie normale Leserbriefe.
Inzwischen hat c't seine Meinung offenbar geändert, aber als
eine der größten Computerzeitschriften hat man gewisse Verpflichtungen
gegenüber den Möglichkeiten der modernen Technologie. Sie nicht. Also
schauen Sie sich im Netz um, schreiben Sie darüber Ihren Bericht, und
loggen Sie sich dann aus. Aber schnell. Bis die Bundespost sich bequemt
hat, die Leserbriefe auf
dem üblichen Weg bei Ihnen abzuliefern, sollten Sie schon am nächsten
Artikel arbeiten. Wenn Sie echtes Feedback haben wollten, würden Sie
schließlich nicht für ein Massenmedium arbeiten.
Eine letzte Bitte aus journalistischer Fairness
Sex im Internet hat schon Hunderte Ihrer Kollegen über Perioden
hinweggeholfen, in denen man sonst nur über saure Gurken berichten
konnte.
Helfen Sie mit, dieses Thema für zukünftige Generationen von Reportern
nützlich zu erhalten - schließlich kann man nicht erwarten, daß Charles
und
Di immer zur rechten Zeit in die Bresche springen. Schlachten Sie nicht
die
Gans, die uns alle mit solch goldenen Eiern versorgt.
Daher: bitte nicht mehr Informationen als nötig. Alles, was
über die Message
und die drei Reizthemen hinausgeht, könnte den Leser oder Zuschauer nur
neugierig machen und ihm die Illusion geben, es könnte mehr im Netz
geben
als Sex und schlimmere Perversionen. Das kann keiner von uns wollen.
Seien
Sie vorsichtig, wen und wieviel Sie zitieren. So sollten die pfui-bah
Worte "Standleitung" und "Eigenbezahlung" niemals zu hören oder sehen
sein.
Das Internet ist ein wunderbares Gebilde und bietet dem
gehetzten und unter
Quotendruck stehenden Journalisten alles, was er für eine schnelle
Geschichte
ohne viel Aufwand braucht - solange er verantwortungsvoll und
vorsichtig mit
dieser gemeinsamen Quelle umgeht. Für ihn ist es dann, wie wir schon
gesagt
haben, wirklich wunderbar einfach.
- Das Internet ist eine neue Hochtechnologie,
dessen Ziel es ist, auf Kosten der ganzen Wahrheit jedem Journalisten
auf elektronischem Weg eine quotenträchtige Scheinreportage ohne viel
Arbeit zugänglich zu machen.
Wir hoffen, Ihnen mit diesen Tips den Einstieg erleichtert zu
haben. Viel Glück und uns allen weiterhin ein gutes Gelingen.
Kolophon
Ursprüngliche Version:
Article: 19288 of de.talk.sex
Newsgroups: de.talk.sex
From: scot@catzen.gun.de (Scot W. Stevenson)
Subject: Anleitung: Reporter, Sex und das Internet
Keywords: Reporter, Internet, Sex
Organization: Zebrafied Unicorn Betatesters (Germany)
Message-ID: <D420AJ.1B0@catzen.gun.de>
Date: Wed, 15 Feb 1995 18:20:42 GMT
Summary: Wie man sich gute Quoten mit wenig Arbeit fängt
Scot W. Stevenson scot@catzen.gun.de Essen, Germany
und Update dieses Leitfadens per mail vom 27.5.1995 (Version 2.1)
Erste HTML-Versionen von Anke
Bodzin, 22. Februar 1995 und 29. Mai 1995, mit freundlicher Genehmigung als Grundlage übernommen für die
Zweite HTML-Version von Scot W. Stevenson, 19. November 2007